Mehr Gehalt für Altenpfleger:innen: Es tut sich etwas in der Pflege. Wie die Bundesregierung im Rahmen des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG) beschlossen hat, werden alle Pflegekräfte ab Herbst 2022 nach Tarif bezahlt. Das bedeutet eine Lohnerhöhung für Pflegepersonal von bis zu 300 Euro monatlich bzw. 3.600 Euro jährlich. Aktuell erhält von den rund 1,2 Millionen Beschäftigten in der Altenpflege lediglich knapp die Hälfte Bezahlung nach Tarif.
Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sorgen immer wieder für Diskussionen. Dabei spielt das Gehalt eine zentrale Rolle. Pflegekräfte verdienen zu wenig, gerade in Relation zu ihrer immens wichtigen und bedeutsamen Arbeit. Wie unverzichtbar diese ist, wurde uns allen speziell mit Beginn der Coronapandemie mehr als bewusst. Doch tosender Applaus auf Balkonen reicht nicht, so anerkennend er auch sein mag. Das hat nun auch die Politik erkannt und eine neue Pflegereform durchgesetzt, die für Pflegekräfte vor allem in arbeitsrechtlicher Hinsicht Fortschritte bringt.
Am 11. Juni 2021 hat der Bundestag das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) verabschiedet, welches gelegentlich auch als „kleine Pflegereform” bezeichnet wird. Vorausgegangen war dieser Entwicklung eine hitzige Debatte und ein Entwurf des damaligen Arbeitsministers Hubertus Heil (SPD) und des ehemaligen Finanzministers Olaf Scholz (SPD) für ein Pflege-Tariftreuegesetz. Anschließend zog auch der Gesundheitsminister der letzten Legislaturperiode Jens Spahn (CDU) nach.
Das letzten Endes verabschiedete GVWG beinhaltet neben einigen Änderungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung auch den Beschluss, Pflegekräfte künftig tariflich zu entlohnen. Das bedeutet für Pflegeeinrichtungen die Pflicht, Tariflöhne zu zahlen, wenn sie ihre Zulassung behalten möchten. Aktuelle erfolgt eine tarifliche Entlohnung in der Pflege fast ausschließlich nur bei kommunalen und freigemeinnützigen Arbeitgebern.
Ein Tariflohn ist die Vergütung, die in einem Tarifvertrag festgehalten wird. Ein solcher Tarifvertrag regelt die rechtlichen Bedingungen, unter denen ein Arbeitgeber und dessen Arbeitnehmer:innen zusammenarbeiten. Ausgehandelt wird er zwischen zwei Interessenvertretungen: Auf der einen Seite argumentieren Arbeitgeberverbände, auf der anderen Seite setzen sich Gewerkschaften für die Belange der Arbeitnehmer:innen ein. Der letztlich entstehende Tarifvertrag ist eine verbindliche Kollektivvereinbarung für sämtliche Unternehmen des entsprechenden Arbeitgeberverbands, nach der sich alle geschlossenen Arbeitsverträge richten müssen. So werden zentrale Punkte der Zusammenarbeit rechtsbindend geklärt; hierzu zählt insbesondere auch die Vergütung, die folglich als Tariflohn bezeichnet wird.
Für Pflegeeinrichtungen und damit für Arbeitgeber in der Pflege bedeutet das GVWG die Pflicht, ihren Pflegekräften tarifgebundene Löhne zu zahlen. Bei Zuwiderhandlung dürfen die öffentlich-rechtlichen Krankenkassen sowie die Pflegekassen der Pflegeversicherung keinen Versorgungsvertrag mit entsprechenden Pflegeanbietern mehr schließen. Das würde bedeuten, dass diese fortan weder die medizinische noch die pflegerische Versorgung der Versicherten und damit ihrer Kund:innen übernehmen dürften; ergo wäre das das Ende der Zulassung. Die aktuell geschlossenen Versorgungsverträge sind daher bis spätestens Ende August 2022 anzupassen.
Nun stellt sich die Frage, nach welchem Tarif sich eine Pflegeeinrichtung in Zukunft richtet. Grundsätzlich gibt es hier zwei verschiedene Wege. Pflegeanbieter können sich an einen Tarifvertrag in seiner vollen Form binden; man spricht dann von einer „echten” Tarifbindung. Da das GVWG aber lediglich eine tarifliche Entlohnung vorschreibt, ist alternativ auch eine Tariforientierung denkbar, d. h. die Betriebe übernehmen nur die Vergütungsregelungen eines bestehenden Tarifvertrags. In diesem Fall darf die Vergütung die Entlohnung des zugrundegelegten Tarifvertrags nicht unterschreiten. Maßstab hierfür ist das gesamte Arbeitsentgelt und damit neben dem Tabellenentgelt auch Zulagen wie Zuschläge für Nacht-, Sonn- oder Feiertagsdienst.
Die einzelnen Optionen, die im Rahmen der Umstellung zur Verfügung stehen, gliedern sich wie folgt:
Echte Tarifbindung:
Tariforientierung:
Den Landesverbänden der Pflegekassen muss die Mitteilung einer jeden Pflegeeinrichtung, an welchen Tarifvertrag sich diese binden möchte oder an der Entlohnung welchen Tarifvertrags sie sich orientieren möchten, bereits bis zum 28.02.2022 vorliegen.
In Deutschland existieren etwa 50.000 Tarifverträge, viele davon sind branchenorientiert. Besonders in der Industrie und im Einzelhandel finden Tarifverträge häufig Anwendung. Daneben sind auch im öffentlichen Dienst die Arbeitsbedingungen tariflich geregelt. In der Pflegebranche dagegen gibt es keinen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag. Das liegt speziell daran, dass es für Pflegeeinrichtungen keinen großen Arbeitgeberverband gibt, sondern sich die Zuständigkeiten auf eine Vielzahl an Arbeitgebern und Trägern verteilen. Neben privatwirtschaftlichen und öffentlichen Trägerschaften zählen auch die Kirche und Wohlfahrtsverbände zu den wichtigsten Arbeitgebern in der Pflege. Der Kirche kommt dabei ein besonderes Selbstbestimmungsrecht zu, das es ihr erlaubt, Sonderregelungen hinsichtlich des Gehalts ihrer Beschäftigten zu beschließen und damit eigene Tarifverträge abzufassen. Aufgrund dieser Aufspaltung gestaltet es sich schwierig, einen für alle Pflegeanbieter verbindlichen Tarifvertrag mit allgemeingültigen Regeln abzufassen.
Folgende Tarife zählen zu den wichtigsten in der Pflege:
TVöD:
Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) gilt nicht nur für Verwaltungsbeamte bei Bund und Kommunen, sondern auch für Angestellte in öffentlichen Pflegeeinrichtungen wie Krankenhäusern oder öffentlichen Reha-Einrichtungen. Stationäre und ambulante Pflegeanbieter befinden sich dagegen zu weniger als 8 % in öffentlicher Hand.
TV-L:
Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) ist mit der Ausnahme Hessens für alle Bundesländer gültig und enthält auch den TV-L KR, der die tariflichen Arbeitsbedingungen speziell für Pflegepersonal im öffentlichen Dienst der Länder regelt. In Hessen findet dagegen der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) Anwendung.
AVB:
Ist eine Pflegeeinrichtung Mitglied beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, sind die Arbeitsvertragsbedingungen (AVB) als Vertragsrichtlinie maßgeblich, die neben Arbeitszeit und Erholungsurlaub auch die tarifliche Entlohnung der Angestellten regeln.
TV AWO:
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist ein Wohlfahrtsverband und einer der großen Arbeitgeber Deutschlands. Dabei ist sie dezentral organisiert und hat je nach Verband andere Tarifverträge abgeschlossen.
DRK-Reformtarifvertrag:
Das Deutsche Rote Kreuz regelt die Arbeitsbedingungen von rund 38.600 Beschäftigten im DRK-Reformtarifvertrag, der zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Bundestarifgemeinschaft des DRK ausgehandelt wurde.
AVR-Caritas:
Die Caritas hat als Wohlfahrtsverband der römisch-katholischen Kirche die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes” (AVR-Caritas) ausgearbeitet. Diese finden bei Pflegeanbietern innerhalb des Caritasverbandes Anwendung. Es handelt sich hierbei jedoch um keinen Tarifvertrag im rechtlichen Sinne, da die AVR-Caritas nicht mit einer Gewerkschaft vereinbart wurden. Sie sind aber an den TVöD angelehnt.
AVR Diakonie:
Die Diakonie Deutschland ist der Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirchen und hat für seine Beschäftigten Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) ausgearbeitet. Für die Verbände Bayern, Hessen, Nassau sowie für den Tarifbereich Ost gelten diese allgemeinen AVR jedoch nicht.
Das höhere Gehalt für Pflegekräfte dank Tariflohn muss natürlich letzten Endes auch finanziert werden. Auch diese Frage ist bereits geklärt. So bezuschusst der Bund die neue Pflegereform mit einer Milliarde Euro jährlich. Auch Kinderlose ab 23 Jahren werden an den Kosten beteiligt. Ihr Kinderlosenzuschlag in der gesetzlichen Pflegeversicherung steigt um 0,1 Prozentpunkte an, sodass der Pflegeversicherungsbeitrag für diese Personengruppe dann insgesamt bei 3,4 % des Bruttolohns liegt.
Nachdem sich ein einheitlicher Tarifvertrag in der Pflege aufgrund der vielen verschiedenen Trägerschaften als schwierig bis kaum umsetzbar gestaltet, bringt die neue Pflegereform zumindest hinsichtlich des Gehalts von Pflegekräften nun doch einen Fortschritt. Die Regierung forciert damit eine tarifliche Entlohnung in der Pflege, die Pflegeberufe auch wieder ein Stückchen attraktiver machen soll. Es bleibt zu hoffen, dass diese Maßnahme tatsächlich zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit beiträgt und somit auch der Personalfluktuation etwas entgegensetzen kann und wieder mehr Nachwuchskräfte anzieht.
Hier kommt es ganz auf den jeweiligen Tarif an. Beim TVöD wird eine Pflegefachkraft beispielsweise in die Gruppe P7 eingeordnet und erhält im Kalenderjahr 2022 dann je nach Berufserfahrung ein Grundgehalt zwischen 2932,41 € und 3654,17 €. Oben drauf werden außerdem Zuschläge und Zulagen, etwa für Nachtarbeit, gezahlt.
Der sog. Pflegenotstand ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Neben einem (bisher) zu niedrigen Gehalt spielt insbesondere auch der demografische Wandel eine zentrale Rolle, Dieser hat zur Folge, dass es in Deutschland immer mehr ältere und damit auch immer mehr pflegebedürftige Menschen bei zu wenigen Nachwuchskräften gibt.
Eine Pflegereform zielt darauf ab, verschiedenen Rahmenbedingungen in der Pflegebranche zu optimieren. Sie kann dabei Verbesserungen sowohl für Pflegebedürftige als auch für Pflegepersonal beinhalten.
Das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) trat in großen Teilen zum 01.01.2022 in Kraft. Die spezielle Regelung zur tariflichen Entlohnung von Pflegekräften dagegen wird erst ab 01.09.2022 umgesetzt.
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